Orte

Queering the City – Eine andere Stadtführung

„Da bin ich schon so oft vorbeigelaufen, aber das ist mir noch nie aufgefallen“:
Verwundert betrachtet eine Teilnehmerin eine blaue Säule mit der Inschrift:

„AIDS
den Toten
den Infizierten
ihren Freunden
ihren Familien
1981 bis heute“

Daneben zwei kleine Bänke, die zum Innehalten einladen. Dieser unscheinbare Gedenkort am Sendlinger-Tor-Platz erinnert an die AIDS-Krise der 1980er Jahren. Doch vielen bleibt seine Bedeutung verborgen.

Die Free Walking Tour „Queer München” macht solche Orte sichtbar, an denen queere Vergangenheit und Gegenwart greifbar werden. Denn oft braucht es ein wenig Kontext, um sich deren Geschichte zu erschließen.

Queering München – mehr als ein Titel

Queer ist ein Sammelbegriff, für sexuelle Orientierungen und Identitäten, die über die traditionellen Vorstellungen von Geschlecht (als „entweder männlich, oder weiblich“) und Sexualität („Heterosexualität als Normalfall“) hinausgehen.

Auf den ersten Blick mag der Titel wie ein Schreibfehler wirken. Sollte es nicht „queeres München“ oder „queer Munich“ heißen? Doch genau das ist Absicht. Die Tour lädt dazu ein, den städtischen Raum zu queeren – ihn also neu zu entdecken, zu dekonstruieren und durch queere Perspektiven zu sehen. Ziel ist es, bei einem gemeinsamen Stadtspaziergang Münchens queere Vergangenheit und Gegenwart erlebbar zu machen – für queere Menschen ebenso wie für Interessierte.

Das Together und die Bedeutung von Treffpunkten V

Architektonisch hat sich an der nächsten Station wenig verändert – das Gebäude ist noch immer ein Beispiel für Münchner Jugendstil. Doch außer Regenbogenfähnchen in den Schanigärten erinnert kaum etwas daran, dass dies einst einer der zentralen Treffpunkte der queeren Szene war.

Das „Together“ war ein von einem lesbischen Paar geführter Club. Hier fanden Travestieshows statt, und das Publikum war vielfältig: Der Ort wurde nicht ausschließlich von Schwulen frequentiert, sondern Lesben waren ausdrücklich erwünscht und auch Transpersonen fanden hier einen Safespace. Der Club etablierte sich schnell und wurde über die Grenzen Münchens hinaus bekannt. Neben Tanzen und den Shows bot das „Together“ auch einen separaten Raum, in dem man in entspannter Atmosphäre essen, trinken und sich unterhalten konnte. Trotz seiner Funktion als Konsumort war das „Together“ ein bedeutender Ort. Warum? Weil es ein explizit queerer Raum war, in dem Menschen unterschiedlichster queerer Identitäten und sexueller Orientierungen zusammenkamen – ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Ein solcher Raum fehlt heute oft in der Community, worauf immer wieder hingewiesen wird. Abgesehen vom lesbisch-queeren Zentrum, das städtisch gefördert wird, gibt es nur wenige Orte, die explizit lesbisches Leben oder queere Zusammenkunft ermöglichen. Die sichtbaren Treffpunkte sind meist von schwuler Dominanz geprägt.

Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart V

Die Tour greift solche historischen Orte auf und verbindet sie mit aktuellen Themen: von der queeren Clubkultur über die Auswirkungen der AIDS-Krise bis hin zu heutigen Themen von Sichtbarkeit und Diskriminierungsfreiheit. Sie fördert Teilhabe, indem sie Menschen generationsübergreifend und unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung einlädt, queere Perspektiven zu entdecken und zu verstehen.

Reise durch das queere München V

Wir spazieren weiter durch das Glockenbachviertel, das früher als Herz der queeren Szene galt. Heute hat sich das Viertel gewandelt – ein Wandel, der bei der Tour genauer beleuchtet wird. Dabei geht es um Fragen wie: Was macht ein queeres Viertel aus? Warum sind Schutzräume wichtig? Wie definiert sich die queere Community heute? Und was bedeutet es eigentlich, ein Ally zu sein? Auf spielerische Weise begegnen die Teilnehmenden Begriffen und Konzepten der queeren Community, sodass auch Menschen ohne Vorkenntnisse einen leichten Zugang finden.

Die Gruppengröße ist auf etwa zehn Personen begrenzt, um Austausch und Interaktion zu fördern. In diesem persönlichen Rahmen haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Gedanken zu teilen. Damit unterscheidet sich diese Tour bewusst von klassischen Stadtführungen: Sie ist vielmehr ein gemeinsamer Spaziergang mit einem hohen Informationsgehalt, bei dem der Schwerpunkt vor allem auf Dialog und einer offenen Atmosphäre liegt. Dabei soll die Tour nicht nur informativ sein, sondern auch Spaß machen – selbst für jene, die bisher wenig Berührungspunkte mit queeren Themen hatten.

Am Anfang der Tour stelle ich mich als „Gay Guide“ und schwule, weiße, männlich gelesene Person vor. Damit bin ich sowohl in einer privilegierten als auch marginalisierten Position. Das beeinflusst meine Sichtweise auf die Themen […].

Bekannte Orte neu entdecken V

Die Führung möchte vor allem eines: Sichtbarkeit und Teilhabe fördern. Orte, die vielleicht schon bekannt sind, werden in einen queeren Kontext gestellt und ihre Geschichte und Bedeutung offengelegt. So eröffnet sich ein Diskurs über queere Themen und ein Raum für die Auseinandersetzung mit queeren Lebensentwürfen wird geschaffen. Die Tour bietet dadurch viele Anknüpfungspunkte und soll jede:n ansprechen - generationsübergreifend und unabhängig von der sexuellen Orientierung.

Oft bringen Teilnehmende Vorwissen, Interessen oder persönliche Bezüge mit, an die ich anknüpfen kann. So kennen die meisten Freddie Mercury, der lange in München lebte. Seine Geschichte wird zum Ausgangspunkt für Themen wie die queere Clubkultur, die Bedeutung von Allies oder die AIDS-Krise. Und so kommen wir wieder am Startpunkt unserer Führung an: Ein Denkmal, das die Teilnehmenden nun mit neuen Augen wahrnehmen.

Termine und Infos zu der Stadtführung
Informationen und individuelle Anfragen ab 5 Personen an: queer-muenchen@web.de
Öffentliche Führungen vrs. ab August 2025 - Infos dazu auf Instagram @anian_queer_munich

Text & Bild
Anian

Überarbeitung
Friederike Alexander

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